Musikalische
Euphorie ist eine besondere Form von Glück. Shirley Anne Hofmann
genießt dieses Glück in vollen Zügen. Die Quellen ihrer
Euphorie liegen auf der Hand. Da sind zum einen die schier unerschöpflichen
Möglichkeiten des Instrumentariums, das sie nach Lust
und Laune einsetzt, allem voran das liebgewordene Euphonium (niemand
läßt dieses so sperrig anmutende Gerät mit einer so
tänzerischen, poetischen Leichtigkeit erklingen wie sie). Da ist
zum anderen die weite Welt der kompositorischen und improvisatorischen
Phantasie, in der sie sich ganz ungeniert tummelt - hingebungsvoll,
leidenschaftlich, sehr ernst, dabei mit einer sympathischen Portion
Humor.
Grenzen scheint die gebürtige Kanadierin,
die via Frankreich nach Deutschland kam und heute in der Schweiz lebt,
nicht zu kennen. Dort wo andere welche gezogen haben, reagiert Shirley
Anne Hofmann mit Erstaunen und mit spielerischer Unbekümmertheit.
Seit sie als zeitweises Mitglied der Avantrock-Dadaisten The Blech die
Freiheit des ganz persönlichen Ausdrucks entdeckte, gibt es für
sie kein Zurück mehr. Nach dem wundervollen Erstling "From
the Depths" ist dies der zweite Streich unter eigenem Namen: ein
weiterer betörender Streifzug zwischen Nah und Fern, mit vertrauten
Momenten,
mit charmanten Kapriolen und vielen überraschenden Stationen. Ein
Album wie eine
traum-hafte, tänzerische, euphorische Reise.
Shirley Anne Hofmann nimmt uns mit auf einen
phantastischen Flug. Munter mischen sich reale Eindrücke
und imaginäre Szenen. Klänge werden zu Bildern, zu Landschaften,
zu Geschichten - bunt fröhlich, grotesk, sehnsüchtig-sentimntal.
Vom Dachfirst heben wir ab in die Lüfte, lassen Drahtseil, Telefonmasten
und technologisches Wunderwerk unter uns, gleiten durch den Äther,
träumen uns über Täler und Berggipfel, lauschen hinein
ins russische Gemüt, erreichen das Meer, kehren schließlich
zurück ins Alpenländische, in die schweizerische Wahlheimat,
ein zentrales Stück Europa, das sich derzeit noch schwer tut mit
der Integration in das um Einigkeit bemühte europäisch Orchester.
Auf dem weg ziehen (manchmal wehmütige) Klanggrüße aus
anderen Regionen vorüber - ein bißchen Böhmen, ein bißchen
Kanada, ein bißchen Bavaria. Biographische Fäden, die ihre
Spuren hinterlassen haben im musikalischen Fühlen Shirley Anne
Hofmanns.
Ihre Erinnerung an die Jugend im kanadischen
Prescott, einem kleinen Ort nahe Ottawa,
ist eng verknüpft mit musikalischen Traditionen. Shirley Anne Hofmanns
Eltern waren aus dem Sudetenland nach Kanada gekommen. Ihr Vater, ein
engagierter Musiklehrer, hielt das volksmusikalische Erbe seiner Herkunft
hoch, schätzte klassische Musik und hatte ein Ohr
für Big Band-Swing: Eckpunkte von Shirley Anne Hofmanns umfassender
Ausbildung.
Zum Klavierunterricht kam schnell die Trompete. Als das Schulorchester
eine Euphonium-Spielerin brauchte, übernahm Shirley den Platz,
ohne die Entwicklung als Pianistin zu vernachlässigen.
Böhmische Volksmusik begleitete sie bis über den Hochschulabschluß
hinaus. Eigentlich schwebte Shirley Anne Hofmann eine Karriere als Jazzmusikerin
vor. Tatsächlich landete sie in Brotjobs, die sie alsbald nach
Europa führten: aus einer Wirtshaus-Kapelle in Montreal zu einem
tschechoslowakischen Festzelt-Orchester
in Südfrankreich, schließlich ins bayerische Konstanz, der
Heimat von The Blech (1993
erhielt sie den Kunstförderpreis der Stadt). Parallel zur Arbeit
mit dem skurrilen Terzett entwickelte sie die Grundzüge ihres Soloprogramms.
Das CD-Debüt markierte den Wechsel aus dem The Blech-Umfeld ins
schweizerische Neuchâtel: in die kreative Gesellschaft von Multiinstrumentalist
und Studiotüftler Momo Rossel und zu L'Ensemble Rayé, dessen
Mitglied Shirley Anne Hofmann bis Mitte 1999 war (CD "En Frac!",
LabelUsineS). Heute
spielt sie unter anderem in dem von Nino Rota ausgehenden Orkester Ben
Jeger (CD "Idraulica!", LabelUsineS). Doch nichts ist ihr
näher als das kontinuierlich weiterentwickelte, in zahlreichen
Auftritten erprobte und verfeinerte Soloprogramm. Mit dem zweiten Album
hat sich Shirley Anne Hofmann so viel Zeit gelassen wie sie es für
notwendig erachtete
- mit dem Resultat, dass die kreative Dichte eigentlich für zwei
weitere Alben reichen würde. Auf Songtexte verzichtet sie heute
weitgehend, dafür erzählt die Musik umso
mehr, umso lebendiger. Auf die vokalen Qualitäten der Kanadierin
brauchen wir trozdem nicht zu verzichten, bis hin zum unvergleichlichen
Hofmann'schen Jodler.
Als das Album langsam Form annahm, schälte
sich heraus, dass es eine
Platte mit Tänzen, mit Tanz-Musiken werden würde. Tango, Walzer,
Square-Dance, Bolero - an verschiedenen, teils abenteuerlustig ausgelegten
Tanz-Formen herrscht kein Mangel. Viel faszinierender ist allerdings,
dass diese Musiken den Geist, die Vorstellungskraft, die Seele tanzen
lassen, in welchem Rhythmus, in welchen Stimmungen auch immer. Das schönste,
was Musik bewirken kann. Shirley Anne Hofmann's Euphoria
ist ansteckend. Eine wunderbare musikalische Perspektive hinein in die
kommenden Jahre.
Guten Flug!
Arne Schumacher,
März 2000
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